Back: Die ersten Jahre Mein Buch Next: Die Party

 

 Partytag (vor dem Fest)


Noch bevor meine Glieder sich strecken durften, befahl mir mein Gehirn, diesen wichtigen Tag strategisch und absolut sinnvoll zu planen. Im Geiste hatte ich mir schon einen Sack mit Häkchen zu Recht gelegt, um die bereits erledigten Dinge zu kennzeichnen. Alles aber auch wirklich Alles hatte ich im laufe der letzten sechs Monate gesammelt und in meinem Plan archiviert, der Ablauf der Party, Zeitpläne, die Deko-Details, die Bands, die Jobs… alles hatte ich in meinen Kopf. In geistiger Stille trennte ich die erledigten von den noch zu leistenden Dingen, und die Liste war lang verdammt lang. Ich machte einen Zeitplan, welche Dinge ich als erstes zu erledigen hatte und welche später. Mein Raster teilte sich in Vor- und Nachmittag, und es waren verflucht viele Jobs in beiden Bereichen. Es ist nun mal nicht möglich an zwei unterschiedlichen Orten gleichzeitig zwei verschiedene Dinge zu tun. Beim genauen betrachten merkte ich, das dies nicht funktionieren kann und ich schnürte mein Raster in Stunden, halbe und dann viertel Stunden. Selbst bei einer Minutenplanung kam nicht genug Zeit bis zum Beginn der Party ab 17.00 Uhr zusammen. Ich hatte meine Glieder immer noch nicht gestreckt, noch keinen Muskel bewegt, aber der Schweiß stand mir schon auf der Stirn.
Ich bin nun mal ein Perfektionist und es tat sehr weh zu spüren, das hier an dieser Stelle ein Engpass entsteht, den ich nicht beseitigen werde. Ärgerlich bewegte ich meine rechte Hand mit der typischen Fuck Handbewegung. Nun konnte ich mich nur noch in den geistigen Mantel eines Rheinländers flüchten, denn diese besondere Spezies hat für solche Momente besondere Theorien entwickelt und daran werde ich mich nun halten, wenn ich nicht das Handtuch werfen will. Einer dieser Grundregeln besagt „et kütt wee et kütt“ (es kommt wie es kommt) ein weiterer, „et hät noch emer jot jejange“ ( es ist noch immer gut gegangen) und diese Grundsätze wurden ab sofort in meinem Chaos angewandt. So begann mein Tag in einer Stimmung, die mir gewaltsam aufoktruiert wurde und in der ich ab und an versuchte aufzumupfen, um wieder die Kontrolle über das Chaos zu bekommen. Aber meine Versuche endeten wieder und wieder in einer fast schon lächerlichen Situationskomik und ich gebe ungern zu, das an dieser Stelle mein persönliches Management zusammengebrochen ist.
In der Hoffnung, es gäbe schon in der Dschungelbar ein Frühstück, machte ich mich auf zu ihr. Leider habe ich an dieser Stelle die Erinnerung verloren und habe diesen Zeitabschnitt schon aus meinem Gedächtnis gestrichen… wer wann, wo aufgetaucht ist, ist mir nicht mehr möglich zu eruieren, alles was ich in dieser Anspannung noch im Speicher hatte war, dass ich meiner allerliebsten und einzigen Schwester versprochen hatte, sie werde mit unserem Shuttleservice  abgeholt und zurückgebracht. Und ich wusste, es wird ein Stromaggregat kommen, da wir sehr viel Strom für unsere Party brauchten. Es sollten Soundchecks der Bands stattfinden. Wir erwarteten Mr. Tom, einen Künstler der Zaubern, Feuerspucken und vieles mehr zeigen sollte. Wo war unser Shuttlefahrzeug? Das Gas und die Heizsonnen aus Bonn mussten noch abgeholt werden. Mehrere Pavillons  und Stehtische mussten noch zusammengebaut werden, sowie Zentner an Material für die Bar und Zuckerfee. Hoffentlich kommt die Pyrotec fürs Feuerwerk! ...die Anschlüsse für den Bierpavillon passen nicht, wir brauchen andere. Der Weg für den Partyservice ist durch ein Fahrzeug verstellt. Im Discozelt ist die Technik an falscher Stelle aufgebaut und muss wieder abgebaut und neu montiert werden.
In all dem Chaos habe ich mich entschlossen, den Anwesenden nicht als Nervenbündel auf den so genannten Keks zu gehen, sondern sich der langsam entstehenden Eigendynamik selbst zu überlassen und nach einer Abfrage, was noch benötigt wird, auf Shoppingtour zu gehen.
Mein Haus- und Hofelektriker, und fast schon Schwiegersohn, hatte auch für die noch fehlende Stromverkabelung einige Teile nötig. Endlich war ich nach fast vier Tagen vom Platz.
Leider war dies nicht die klügste Entscheidung, denn die Gedanken hatte ich mitgenommen und der Plan, was alles benötigt wurde, war mit mir unterwegs. Und so schlenderte ich durch den billig Sortimenter Norma und erspähte auf meinem Trip nach weiteren brauchbaren Fakts, eine einsam und allein auf einer Palette geparkte Tiefkühltruhe. Die Letzte ihrer Art, so zu sagen ein Schnäppchen, dass meiner Zuckerfee das I-Tüpfelchen aufsetzen würde. Ich packte  kurz entschlossen die Tiefkühltruhe für knapp 150€ von der Holzpalette und versuchte sie in meinen Einkaufswagen zu wuchten, besser gesagt ich begann mit einem Bewegungsablauf, der mehr einer Turnübung glich. Mit gespreizten Beinen versuchte ich mit dem rechten Fuß eine der Rollen meines Einkaufwagens zu blockieren. Mit dem linken Knie wollte ich das Gewicht der Truhe in den Waagen schieben, und so in Schwebe musste ich Balance halten, um nicht umzufallen. Als die Seitenteile der Truhe auf die schrägen Wagenränder aufdrückten gab es keinen Halt, der widerspenstige Wagen tat es einem ungezähmten Wildpferd gleich und nahm temperamentvoll reiß aus, und konnte nur von einem standhaften Warenregal gestoppt werden. Welcher Sportdisziplin das am nächsten kam mag ich nicht beurteilen, aber es muss lächerlich ausgesehen haben, denn ich kann nach diesem Versuch sagen, dass das Konzept eines Einkaufswagen auf die Maße einer Kühltruhe scheißt und sie keinen Halt auf den abgewickelten Kanten findet. Nachdem mir ein Kunde zur Hilfe eilte, fand sich auch ein Mitarbeiter des Marktes genötigt, mir seine Hilfe anzubieten. Gemeinsam schafften wir das Ungetüm an der wartenden lächelnden Schlange vorbei. Es war mir klar, diesen Markt wirst du in der nächsten Zeit nicht mehr betreten, zumindest bis diese Menschen dein imaginäres Clownkunststück vergessen haben. Nun wusste ich wie sich ein Depp fühlt. Aber ich versuchte doch nur weiter an der Perfektion meines Traumes zu arbeiten. Es war so angekündigt: eine Zuckerfee, die auch Eis anbietet. Ups, das musste in der nächsten Fuhre beschafft werden. Aber die Eistruhentortur war noch nicht abgeschlossen, denn mitleidig und mit etwas Schuldgefühl lotste mich der Normamann an der wartenden langen, samstäglichen Kassenschlange vorbei, vorbei durch einen freien Kassenbereich, den er dann zu meiner Verwunderung wieder schloss. Ich ahnte Fürchterliches und fühlte mich auch schon von den bösen Blicken aus der wartenden Schlange beobachtet. Uns so kam es denn auch. Der brave Normamann schob meinen Einkaufswagen, in dem immer noch instabil mein Schnäppchen ruhte, zur aktiv kassierenden Kollegin und schob mich mit meinen Waagen kurzer hand vor die wartende Schlange. Oh, scheiße dachte ich, fühlte mich auch soo… das ist doch nicht deine Art, konnte mir ein innerliches Grinsen jedoch nicht verkneifen, hatte der gute Mann mir doch einen leichte Zeitvorteil verschafft. Emsig suchten nun beide nach dem Strichcode der Ware. Und da waren verdammt viele, von der Seriennummer zur Endkontrolle, Lieferadresse und Warenklasse der Handelskette, aber wo war der Preiscode? Nach und nach rissen sie ein Zettelchen nach dem anderen von meinem Gerät, so als wollten sie es degradieren, aber die Kasse hatte nur ein müdes Lächeln für diese Zettelchen und lehnte diese mit kurzem dumpfen Piep ab. Nach fast fünf Minuten, und die Gesichter der Wartenden wurden immer grimmiger, gaben meine beiden Topangestellten auf, sahen sich verwundert an und kamen zu dem Schluss, die Ware ist wohl schon aus dem Computer. Es machte sich eine ratlose Pause breit. Nein, dachte ich leise, das könnt ihr euch beiden von der Backe putzen, das Ding ist mir! Sie hatten ein Buchungsproblem, wie ich schon sagte, es war der beiden Problem, und dies signalisierte ich nun durch meine Blicke. Wie auch immer das Schnäppchen gebucht wird, ich lasse es nicht hier zurück. Und es wurde ein Weg gefunden.   
Zunächst war ich über mein Frostschnäppchen zufrieden und brachte es zum Festplatz. Der Anblick des Platzes versetzte mich von meinem Shoppingfeeling wieder zurück in die Realität.
Was war mit Wärme und Heizung? Gas war wieder das Thema, um das ich mich vorrangig kümmern musste, denn der Laden, in dem wir das Material geordert hatten, hatte nicht unbegrenzt seine Toren offen. Elmar, unserem „Heizknecht“, war bewusst wie brenzlig das Zeitfenster für diese Leistungen waren und beorderte mich kurzer Hand zum Gaslieferanten, da hier auch höhere Kautionsforderungen zu erwarten waren, zu denen er mein Portemonnaie benötigte. Es hätte mir den Glauben genommen, hätte alles auf Anhieb bei den Gasmenschen geklappt. Nein, da wurde erst mal über das Buchungssystem geschimpft, Buchungen nicht gefunden, und überhaupt alles angezweifelt. Es fällt mir schwer den Namen des Unternehmen zu nennen, aber ich verspreche, ich habe nicht nur reserviert, sondern in vierwöchigem Abstand,  mir meine Reservierung bestätigen lassen (da ich Buchungen die sich auf Computertechnik stützen nicht traue). Und dennoch, der Zeitverlust bringt mich auf die Palme. Das ganze Gelump wird auf Elmars Wagen verstaut und ab zum Platz. Es kann doch nicht nur Probleme geben.  
Zurück am Platz: Wer oder was erwartete mich, selbstverständlich nur Fragen über Fragen. Jeder der einen Job zu erfüllen glaubte, hatte zu diesem noch irgend eine Frage. Da waren organisatorische Dinge: wo soll was hin oder wo bekomme ich was her? Im Chaos war nur noch schwer zu erkennen, was wem zu zuordnen war. Werkzeuge, die einst geordnet und friedlich ihr Heimwerkerdasein verschliefen, und sich gegenseitig in den Kästen und Kisten vertraut gegenüber lagen, wurden aufgeschreckt, gemischt und durcheinander geworfen, so das selbst Zangen und Schraubendreher sich fürchteten. In der Fremde entwickelten diese Werkzeuge dennoch ein Eigenleben vor Freude, endlich zum Einsatz zu kommen. Ein Eigenleben in der Weise, dass sie sich selber den Nichteigentümern wie eine Hure anboten, so das sie ständig verschwunden waren. Ab hier begann ein Chaos, das ich in einem solchen Ausmaß noch nie erlebt habe. Es war so fürchterlich, jeder wollte was von mir. Am liebsten hätte ich meinen Hirn genommen und es in Einzelteile zerhackt, jedem ein Stück dieser fleischigen Festplatte in die Hände gedrückt (welch ein ekeliger Gedanke), um endlich ruhe vor den anstrengenden und bohrenden Fragen zu haben. Ich sehnte mich nach eine Runde Schlaf. In einer Phase der absoluten Leere schaute ich über den Platz und folgte dem Treiben. Es war sehr seltsam was da vor sich ging. War es ein Traum oder die Realität? Ich befand mich im ersten alkoholfreien Rausch und betrachtete wie ein Raubtier alles was sich so vor meinen Augen bewegte. Da waren Menschen in geschäftigen Treiben, sie arbeiteten an irgend Etwas und ich war nicht in der Lage auszumachen was sie taten. Ich schaute ihnen einfach nur zu. Es waren Menschen, die ich nicht kannte oder glaubte sie noch nie in meinem Leben gesehen zu haben. Und doch hatten sie Gesichter die mir so vertraut waren als wäre es mein eigenes. Wie im Bann stand ich da, regungslos, wie die berühmte Satzsäule, staunend, aufgeregt, dennoch mit langsamen Herzschlag. So als sei man ein Unbeteiligter, der am Rande einer großen Baustelle steht und dem spannenden Treiben seine Aufmerksamkeit widmete. Und doch zerrte mein Verantwortungsgefühl wie ein Gummiband an mir und versuchte meine Aufmerksamkeit zu gewinnen, damit ich wider zurück zu meiner Rolle finden sollte. Aber es war das ähnlich träge Gefühl, das jeden Morgen den Wecker beschwichtigt und sagt ja, ja ich komme gleich, lass mich nur noch einen Moment in Ruhe, ich brauche noch eine Minute… und dann noch eine Minute… und so zieht es sich dann fort - bis endlich die schöne kuschelige Stimmung verfliegt ist und es Zeit zum aufstehen ist.
„Wo sollen die Bewegunsmelder hin?“, holte Karsten mich aus meinem Wachtraum ins Leben zurück. Er, mein Elektriker und Schwiegersohn in spe, platzte in meine Ruhephase, und dann stieg mein Puls wieder und ich stellte mich nur unwirsch seiner Frage, denn eigentlich war ich ab diesem Zeitpunkt nur noch einem Zombie gleich und hatte keinen Bock mehr auf Party. Nach drei Tagen Aufbau war mein Wille gebrochen ich wollte ins Bett und wusste, das dies nicht ging. Sorry, aber es war die Zeit, auf alles zu fluchen, sollten die Gäste doch zu Hause bleiben. Es hat mich geschafft, bevor es angefangen hatte, ich war weich wie ein Keks, müde, zermürbt und hätte mir nur einer gesagt „Leg dich schlafen“, ich hätte es getan. Aber es hat keiner gesagt und ich stand noch da und versuchte so gut es ging mein Konstrukt der Party zu ordnen. Mit Selbstdisziplin gab ich Karsten meine Wünsche preis, aber er fand das nicht so praktikabel, und ich nahm seine Gegenvorschlag dankend und bereitwillig an. Ich hatte keine Kraft mehr meine Ideen zu vertreten, es war nun die Zeit der Fachleute denen ich gerne das Feld überlies. Dann stellte sich wieder diese beobachtende Traumphase ein, ich schaute, setzte mich auf eine Bierbank und hoffte nicht gesehen zu werden. In mitten dem Treiben nahm ich all meine Reserven zusammen und stellte meine persönlichen Prioritäten zusammen. Eine davon war das Versprechen an meine Schwester, sie mit dem Shuttleservice abholen zu lassen und die Heimfahrt zu sichern.
Die ersten Gäste sind eingetroffen. Ich versuche zu lächeln und begrüße sie.
An dieser Stelle möchte ich mal etwas über meine Gäste erzählen.
Wer so lebt wie ich, hat natürlich nicht viele Freunde, aber die, die ich habe sind mir lieb und wichtig, und sie haben mich in meinem Leben auf unterschiedlichen Abschnitten begleitet und geholfen durch ihre Art zu meinem Leben zu finden. Jeder nimmt das, was er  positiv empfindet auf und versucht dies zu imitieren und so zu sein, weil es praktikabel und gut erscheint. Eigentlich wollte ich hier das Wort Vorbild vermeiden, aber irgendwie hat es sich doch in die Beschreibung gemogelt. Es ist gut von anderen sich das Positive abzuschauen und so zu werden wie ein Vorbild ist. All die Jahre meines Lebens habe ich mir diese Unart des Abschauens zu Eigen gemacht, und bin froh so viele würdige Beispiele kennen gelernt zu haben. Diese Beispiele habe ich zu meinem Event geladen und sie sind gekommen. Menschen die ich bewundere, achte und vor denen ich tiefen Respekt habe. Mädels in die ich verknallt war und Jungs die ich cool fand. Es waren Gäste aller Nationalitäten. Afrikaner, Asiaten, Amerikaner und natürlich Europäer. Es waren Katholiken, Palästinenser, Moslem, andere Religionen und Ungläubige. Ein Querschnitt bunt durch die Welt. Es waren junge und alte. Und alle waren meine Gäste, und zu jedem hätte ich eine Geschichte erzählen können. Je nach Laune werde ich dies hier noch tun. Sicher will ich hier mit meiner Aufzählung nicht enden, denn einige haben eine weite Reise in Kauf genommen, um zu dieser Party zu kommen und mir damit eine Freude zu machen.

Hier beginne ich nun mit meinen fast schon verklärten Erinnerungen, und beschreibe die mit dem längsten Weg, die mir und meinem Clan die Ehre erwiesen haben:

Die Balinger aus dem Süden :
Wer glaubt schon an Schicksal, oder das Wunder der ewigen Begegnungen? Ein weiser Spruch behauptet, man treffe sich im Leben immer zweimal. Doch bei dieser Bekanntschaft hat hier die Weisheit ein Ende. Hier muss ich sagen, das mich das Leben seltsam überrascht hat, denn es gibt hier so etwas wie das täglich grüßende Murmeltier tatsächlich.
Danny und ich sind freie Menschen, die gerne in ihrem Urlaub die Orte ansteuern, die all das bieten was der Alltag uns müden Büromenschen verwehrt. Freiheit, Lust und Abendteuer. Und dies finden wir ca. 1200 km von unserem Zuhause in Frankreich in Mimizan. Aber wir sind nicht die einzigen die auf dieses Örtchen stehen, denn im dritten Jahr in Folge treffen wir uns mit etwas merkwürdigen Menschen aus Balingen. Das Merkwürdige bezieht sich auf ihre Tugenden. Diese Menschen sind zwar sehr liebenswert, aber auch eigenwillig. Ich möchte hier nicht auf die Eigenwilligkeit eingehen, aber auf das Liebenwerte, denn das hat uns zu Freunden gemacht.
Sie haben Liebe zu ihren und anderen Kindern, sowie Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit zeichnen diese knorrigen Menschen aus. Und wenn du glaubst, ihr Ansinnen durchschaut zu haben, verblüffen sie dich mit einer neuen Eigenart. Versuche nicht hinter ihre Kulissen zu schauen, denn du wirst nichts sehen oder entdecken was zur Erleuchtung beitragen kann, aber ihr Reportuar an Überraschungen ist größer und umfangreicher als du zu ahnen vermagst.
Diese drei ersten Gäste hatten die weiteste Anreise, darum habe ich sie als erste gewürdigt, aber es sind nicht die einzigen über die ich eine Beschreibung aus meiner Sicht geben werde, den es werden noch weiter interessante Menschen erscheinen zu denen ich meine Gefühle zu ihnen verbalisiere.

Chrisy :
Das ist ihr Chatname, und ich habe diese Kollegin im betriebsgeheimen Chat getroffen, noch bevor der gemeine Mann auf der Strasse wusste was an Kommunikation auf ihn zu kommt. Sie war mit Olli, ihrem Lebenspartner, aus Chemnitz angereist. Sie begegnete mir virtuell in den Tagen als das Chat noch zu den  geheimen Riten einer verschworenen Gemeinschaft gehörte, die mit ihrem Insiderwissen als Pioniere die ersten Abenteuer einer virtuellen Welt erlebten. Es waren die Mitglieder einer geheimen Loge, die im Netz einem Kult frönten, der vom Arbeitgeber trotz Verbot aber geduldet wurde und ihm später zu neuen Einnahmequellen verhalf. Ich chattete viel und intensiv. Störend waren zwischendurch nur die Bitten meiner Kollegen mal wieder dienstlich tätig zu werden. Es war eine Sucht, das chatten. Es ist eine Art der Kommunikation in schriftlicher Form, bei der jeder einzelne die Möglichkeit hat, sein gedachtes Wort in Text zu bringen und vor dem Absenden zu überprüfen, ob er das wirklich sagen will, was aber kaum jemand tat, und so kam auch ziemlich viel Müll zustande. War ja alles total virtuell und unpersönlich. Sicher ließ diese Art der Kommunikation auch Platz und Raum seine geistigen Ergüsse in Wünsche, Sehnsüchte und Gefühlen zu äußern, der gedankliche freie Raum ließ alles zu und Tabus flimmerten nur so in wilden Orgien über die Monitore. Hier wird geschimpft, gehetzt und gelogen, manch einer lässt seinem Frust freien Lauf, kotzte oder flirtete was die Buchstaben hergaben. Sicher, ich habe mich diesem Medium auch gestellt und mich in Nöten der Einsamkeit der virtuellen Liebe hingegeben. Jeder baggerte was das Zeug hielt. Aber alles nur virtuell. Bis ich eines Tages an Chrisy geraten bin. Ab da lebte das Netz und ich hatte nicht mehr das Gefühl, mich in der Anonymität verstecken zu wollen. Es war beim ersten Chatkontakt, es war nichts was sich langsam aufgebaut hat, es war die erste Minute, ich wusste, das hier und jetzt ist life. Es war mir unheimlich es war unglaublich, das Internet hatte eine Seele, die lebt. Hier wurde mir wieder bewusst, hier ist ein Mensch und ich sprach mit diesem. Dieser erste Kontakt war nicht wie die üblichen, ich fand mich im Bann und wusste nicht warum. Es entwickelte sich eine Freundschaft, eigentlich für mich eine Liebe. Meine Sehnsucht hatte etwas gefunden, was ich im Netz gesucht habe… 
Hier kürze ich ab und sag: meine Cyberliebe war da.

Jetzt wurde es aber höchste Zeit mein Versprechen gegenüber meiner Schwester einzulösen, sie mit ihrem Mann Günter von meinem Shuttleservice Zuhause abholen zu lassen. Wo ist der Fahrer, stellte ich mir dir Frage. Er war noch nicht eingetroffen. Das gesponserte Fahrzeug, ein Ford Transit mit neun Sitzen, stand aber angeblich schon bereit. Ich weis nicht welches dominierende fehlgesteuerte Gehirn mich zu einer hektisch hysterischen Frau mutieren ließ, die zehn Minuten wirbelnd vor dem Kleiderschrank steht und nicht weis was sie zur Party anziehen kann. Ich musste sofort eine Entscheidung treffen was zu tun war, und entschied, wie immer wenn es eng wurde, es selbst zu machen. Sollte ich denn mühsam in langer Erklärung eine Wegbeschreibung zur Adresse meiner Schwester geben, und wem sollte ich sie geben?
Ich ließ mir den Schlüssel des Ford geben und lief schnellen Schrittes zum Parkplatz. Da stand ein neuer toller Neunsitzer von Ford und ich hatte meine erste Begegnung mit diesem Model. Instrumente, Schalter und Bedienung waren mir fremd, aber ich hatte den Schlüssel und fand das Lenkrad, sowie Gas, Kupplung und Bremse an den gewohnten Plätzen, der Rest ist lerning by doing, und ich fuhr los. Ein wenig unwohl war mir ohne Fahrzeugpapiere schon, denn ich fühlte mich wie ein Dieb. Erster Halt auf dieser Tour war mein Haus, um die dort wartenden darauf vorzubereiten, dass ich sie auf meiner Rückfahrt aufnehme. Mir wurde bewusst, dass meine Entscheidung nun selbst das Shuttle zu fahren keine ausgereifte Entscheidung war, da meine Anwesenheit auf dem Festplatz nötiger wäre. Und wenn schon mal was schlecht läuft… in einer Biegung fünfzig Meter vor meinem ersten Halt blitzte ein Meer von gelben und blauen Lichtern. Mein Atem stockte und es rutschte mein Herz in die besagte Hose. Hier hat zweifellos ein Unglück stattgefunden, denn die Straße war gesperrt. Polizei und Feuerwehr versperrten den Weg. Beim näheren Heranfahren sah ich was geschehen war. Ein  Kühlwagenfahrer hatte die Biegung ignoriert und die Ölwanne seines Fahrzeugs an der Gartenumrandung meines Nachbarn abgestreift. Das liebevoll restaurierte Wegekreuz hatte der Unhold ebenfalls sprichwörtlich platt gemacht. Verletzt war niemand. Spanner und Schaulustige haben sich zahlreich an der willkommenen Samstags Attraktion versammelt. In einem kleinem und verträumten Örtchen wie Werthhoven, in dem nie etwas passiert, das kein Geschäft, ja nicht mal eine Kneipe hat, ist ein solches Ereignis eine willkommene Abwechslung, mal wieder gegenseitig ins Gespräch zu kommen.

Vorsichtig schlängelte ich mich am ölgetränkten Bindemittel und dem Polizeifahrzeug vorbei in den gesperrten Straßenabschnitt. Es war ärgerlich, ausgerechnet am Partytag muß das passieren. Verflucht sei der Unglücksfahrer! Hätte er nicht eine Woche früher oder später seinen Kühlkutscher in Nachbars Garten hüpfen lassen können? Wie gerne hätte ich auch da gestanden und meinen Senf dazu gegeben. In einem Dorf, in dem es schon was Besonderes ist, wenn ein Fremder nach dem Weg fragt, verpasse ich eine großes Spektakel.
Nach kurzer Absprache machte ich mich weiter auf den Weg zu meiner Schwester und ihrem Mann. Die seltsamsten Gedanken begleiteten mich auf diesem Weg. Was macht ein braver ehrlicher Beamte in einem Fahrzeug, dessen Bedienung ihm fremd ist, ohne Fahrzeugpapiere? Ich malte mir meine Erklärungsnöte aus, sollte ich in eine Verkehrskontrolle geraten. Was trieb mich gerade in dieser Situation in aller Dreistigkeit durch die Scherben eines Unfalls? Bin ich eigentlich noch gescheit? Der Stress der letzten Stunden hatte meinem Bewusstsein eine eigenartige Richtung gegeben, und ich war mir nicht mehr sicher, ob es real war was ich erlebte. Es war eine neue Erfahrung, die sich in meinem Leben einen ranghohen Platz verschaffte. Stress schmeckt nach Bittermandeln, ist pelzig und taub.
Im Übrigen war die Fahrt eine Erholung. Keine lästigen Fragen, keine Probleme und kein Gemecker störten meine leichtsinnige, rasante Fahrt. Am Ziel angekommen sah ich schon die wartenden Gesichter hinter der Gardine vorspitzen, und noch bevor ich den Wagen abgeschlossen hatte wurde ich von meiner Schwester herzlich mit den Worten begrüßt: “Rolf…? Ach du bist das!“ Ja, antwortete ich und erklärte die Situation. Schon hatte ich das nächste Problem, denn die Schiebetür wollte sich nicht meinem Willen beugen und verwehrte zunächst den Zutritt, musste sich aber meiner Intelligenz beugen, so wie es auch der spätere Schließmechanismus der Klapprückbank tun musste. Ich fühlte mich im Zeitplan und kam nach ca. 20 Minuten mit einer vollen Fuhre Gäste am Festplatz an.
Nun konnte ich mich nicht wieder wegstehlen und wartete auf weitere Gäste und die professionellen Akteure.



Back: Die ersten Jahre Mein Buch Next: Die Party

© 2004 - 2019 by Daniela Enskat | www.fantasyart3d.de